Selbstbewusstsein, Reaktionen & der Umgang mit Blicken
Einleitung: Wenn der Blick dich trifft
Du gehst die Straße entlang. In deinem Kleid, mit Make-up, Handtasche, deiner liebsten Perücke. Du fühlst dich wohl. Und dann – dieser Blick. Ein bisschen länger als nötig. Vielleicht leichtes Stirnrunzeln. Vielleicht ein Flüstern hinter dir. Vielleicht gar nichts – aber dein Kopf malt es sich aus.
Herzklopfen. Verunsicherung. Die Frage: Habe ich bestanden?
Genau in diesen Momenten zeigt sich, worum es beim Thema Passing wirklich geht:
Nicht um Perfektion. Nicht um Make-up-Technik. Nicht um High Heels.
Sondern um das eine Gefühl:
„Ich bin okay – so, wie ich bin.“
In diesem letzten Teil der Serie geht es um die innere Seite des Passings.
Was passiert, wenn man eben nicht „durchgeht“? Wie kannst du mit Blicken, Kommentaren oder Unsicherheit umgehen – und dabei ganz bei dir bleiben?
Ich verspreche dir: Es geht.
Und vielleicht ist genau dieser Teil der wertvollste von allen.
1. Selbstbewusstsein kommt nicht von außen
Viele Crossdresser (mich eingeschlossen) glauben am Anfang:
„Wenn ich nur perfekt geschminkt bin, die richtige Perücke trage, schlank genug bin, weich genug spreche… DANN werde ich nicht auffallen. Dann habe ich Passing. Dann bin ich sicher.“
Und ja – Styling hilft. Sehr sogar.
Aber: Wirkliches Selbstbewusstsein entsteht nicht durch Tarnung.
Es entsteht, wenn du dich selbst akzeptierst – als Teilzeit-Frau, als Mensch mit zwei Seiten, als jemand, der den Mut hat, sichtbar zu sein.
Wenn du das schaffst, passiert etwas Magisches:
👉 Die Reaktion anderer verliert ihre Macht.
Nicht, weil sie nie passiert – sondern weil sie dich nicht mehr erschüttert.
2. Die Realität: Die meisten schauen aus Neugier – nicht aus Ablehnung
Das größte Missverständnis beim Thema Blicke ist:
Wir glauben zu wissen, was andere denken.
Aber mal ehrlich:
- Wie oft hast du selbst neugierig geschaut, ohne etwas Böses zu meinen?
- Wie oft hast du dich gefragt: „Wow – spannend. Wer ist das wohl?“
- Und wie oft hast du es einfach sofort wieder vergessen?
Menschen schauen. Menschen flüstern. Menschen fragen sich Dinge.
Aber das bedeutet noch lange nicht:
- dass sie dich ablehnen
- dass du schlecht aussiehst
- oder dass du „durchgefallen“ bist
Ich habe in meinem Urlaub viele dieser Situationen erlebt:
- neugierige Blicke am Pool
- kurze Musterung im Restaurant
- ja, auch mal ein schräger Blick auf der Straße
Und weißt du was? Es passierte – und dann ging es weiter.
Und je weniger ich mich dabei verraten fühlte, desto selbstverständlicher wurde der Moment für alle Beteiligten.
3. Umgang mit Blicken: Drei Strategien
🔁 1. Blick erwidern – mit Ruhe
Wenn du merkst, dass jemand länger schaut:
Schau zurück. Sanft. Mit einem leichten Lächeln. Kein Herausfordern, kein Kampf – sondern ein stilles:
„Ja, ich bin hier. Und das ist okay.“
Das wirkt unglaublich souverän – und nimmt dem Gegenüber die Spannung. Oft erntest du dann ein Lächeln zurück oder ein höfliches Wegschauen.
🧘 2. Blick ignorieren – wenn du deine Ruhe willst
Manchmal willst du einfach nur deinen Kaffee trinken. Dann darfst du auch innerlich sagen:
„Nicht mein Problem.“
Du musst nicht jede Situation kontrollieren. Lass den Blick vorbeiziehen wie eine Wolke.
Du bist nicht auf der Bühne. Du bist einfach du.
💬 3. Freundlich reagieren – wenn du angesprochen wirst
„Sind Sie ein Mann?“
„Sie sehen aber ungewöhnlich aus.“
„Darf ich mal was fragen…?“
Diese Sätze können schockieren – müssen sie aber nicht. Du kannst selbst entscheiden, wie offen du sein willst.
Meine Antwort? Oft ein lässiges:
„Ich bin Tamara. Ich lebe nicht jeden Tag als Frau – aber heute schon.“
Manche nicken, manche lächeln, manche stellen Fragen – aber bislang war es nie abwertend.
Und je entspannter du reagierst, desto respektvoller wird dein Gegenüber.
4. Die Frage: „Was, wenn ich auffalle?“
Die Antwort ist einfach – und schwer zugleich:
Dann fällst du auf. Und das ist okay.
Denn mal ehrlich:
Was ist eigentlich so schlimm daran?
- Es gibt Frauen mit sehr tiefer Stimme.
- Es gibt Frauen mit markantem Gesicht.
- Es gibt Frauen mit breiten Schultern, mit großem Kinn, mit kräftigen Händen.
- Es gibt Frauen, die nicht perfekt „weiblich“ wirken – und trotzdem niemanden um Erlaubnis bitten.
Warum solltest du es müssen?
Passing ist kein Vertrag, den du unterschreibst.
Es ist ein Gefühl – ein inneres Einverständnis mit dir selbst.
Und wenn du heute auffällst? Dann fällst du eben auf.
Vielleicht mit Würde. Vielleicht mit Stil. Vielleicht mit High Heels. Vielleicht mit einem frechen Spruch.
Aber immer mit dem Wissen:
Du lebst gerade deine Wahrheit.
5. Rückschläge gehören dazu – aber sie definieren dich nicht
Es gibt sie, diese Momente:
- Jemand lacht.
- Jemand murmelt „Na, was war das denn?“
- Jemand verweist dich auf die Herrentoilette.
Ja, das tut weh.
Aber es ist auch nur ein Moment.
Nicht dein ganzes Sein. Nicht dein Wert. Nicht das Ende deiner Reise.
Was mir hilft? Rückschläge als Geschichten sehen. Als Teil meiner Entwicklung.
Manchmal sage ich mir innerlich:
„Das hier wird später eine Anekdote – nicht mein Trauma.“
Und dann atme ich durch – und gehe weiter.
Denn: Die guten Momente sind meist viel zahlreicher.
Du musst sie nur zulassen.
6. Stärke zeigen – ohne zu kämpfen
Es ist ein Irrtum zu glauben, Stärke bedeutet: kontern, rechtfertigen, aufklären.
Stärke heißt manchmal einfach nur:
- sitzen bleiben
- weitergehen
- nichts sagen
- sich nicht kleiner machen
Und genau diese stille Stärke ist oft das stärkste Signal.
Wenn jemand versucht, dich zu verunsichern – und du bleibst einfach du –
dann hast du gewonnen. Auch wenn niemand klatscht. Auch wenn es niemand sieht.
Du siehst es. Und das reicht.
Fazit: Du brauchst kein perfektes Passing – du brauchst Mut
Du wirst nie jeden Blick vermeiden.
Du wirst nie jedes Urteil verhindern.
Aber du kannst entscheiden, was es mit dir macht.
Denn am Ende geht es beim Passing nicht darum, perfekt zu sein.
Es geht darum, sichtbar zu sein – und dabei ganz bei sich zu bleiben.
Du bist Frau.
Du bist mutig.
Du bist du.
Und genau das ist dein stärkstes Passing.
💬 Abschluss der Blogreihe
Wenn du alle Teile gelesen hast: Chapeau!
Du hast dich mit Silhouette, Körpersprache, Mimik, Kleidung, Perücken, Make-up, Stimme und Selbstbewusstsein beschäftigt – und damit mit dem wohl wichtigsten Thema überhaupt:
👉 Wie man sich als Frau zeigt – auch wenn man nicht als Frau geboren wurde.
Ich hoffe, diese Serie hat dich ermutigt, inspiriert und vielleicht auch ein bisschen zum Schmunzeln gebracht.
Und wenn du heute rausgehst – dann tu es mit dem Wissen:
Du darfst. Du kannst. Und du bist nicht allein.
Deine Tamara 💕
Hier findest du alle Artikel zum Thema:
Passing, Teil 1: Was bedeutet es für uns
Passing, Teil 2: Deine Bewegung spricht zuerst
Passing, Teil 3: Mimik, Gestik & Ausstrahlung
Passing, Teil 4: Kleidung & Silhouette
Passing, Teil 5: Perücke, Make-up & Stimme
Passing, Teil 6: Selbstbewusstsein & Reaktionen